PRO BAHN Niedersachsen/Bremen Zustand des Zugverkehrs in Niedersachsen
Hannover 07.11.2021
Zusammenfassung: Die Qualität des Schienenpersonenverkehrs in Niedersachsen ist in den vergangenen Jahren durch zunehmende Zugausfälle, ständig nicht funktionierende Anschlüsse und unterlassenen Streckenausbau stark gesunken. Es wurden zwar zusätzliche Zugfahrten bestellt, aber Fahrgäste können sich immer seltener darauf verlassen, pünktlich an ihr Ziel zu kommen. Der Fahrgastverband PRO BAHN betrachtet diese Entwicklung mit großer Sorge und ruft die niedersächsische Landesregierung auf, endlich aktiv zu werden und – wie andere Landesregierungen auch – ihren Handlungsspielraum zugunsten Bahn und Bus auszuschöpfen. Ansonsten findet die Verkehrswende woanders statt.
Die jüngste Sitzung des Landesausschusses Niedersachsen/Bremen des Fahrgastverbandes PRO BAHN wurde von einem Thema beherrscht: Landauf, landab mehren sich die Meldungen über eine immer schlechtere Qualität im Schienenpersonenverkehr. Die Fahrgastvertreter sorgen sich, dass hierdurch immer mehr Kunden von der Schiene ins Auto getrieben und so die „Mobilitätswende“ als Teil des Maßnahmenpaketes gegen die Erderwärmung ins Leere läuft.
„Erhebliche Verspätungen, Zugausfälle und Anschlussverluste sind inzwischen leider nicht mehr die Ausnahme, sondern kommen tagtäglich in viel zu großer Zahl vor. Besonders die Zugausfälle im Nahverkehr wegen fehlenden Personals sind in den letzten Jahren ein enormes Problem geworden, das Reisende, Aufgabenträger und Verkehrsunternehmen vor große Herausforderungen stellt“, konstatiert Malte Diehl, Landesvorsitzender von PRO BAHN Niedersachsen/Bremen.
„Es ist daher gut und wichtig, dass in Ausschreibungen für den Nahverkehr nun verstärkt auch eine dickere Personaldecke eingefordert wird. Der Fokus muss aber noch weiter weg vom Preis als wichtigstem Vergabekriterium hin zu mehr messbaren Anforderungen an eine fahrgastfreundliche Qualität. Verstöße dagegen müssen für die Verkehrsunternehmen spürbar sein“, erläutert Malte Diehl, dessen Landesverband allein an elf zufällig ausgewählten Tagen der letzten Wochen über 180 Zugausfälle wegen Personalmangels in Niedersachsen und Bremen registriert hat. Besonders betroffen meist sind erixx und NordWestBahn, während etwa Westfalenbahn und DB Regio im Schnitt deutlich zuverlässiger unterwegs sind.
Aber auch der Westfalenbahn droht Ungemach: Sie hängt mit drin in der Abellio-Insolvenz, die durch zu knappe Kalkulation in einem hart umkämpften Markt mit nur noch sehr geringen Margen ausgelöst wurde. Eine Betriebseinstellung mit unabsehbaren Folgen bei Abellio konnte gerade so abgewendet werden. Auch um das Keolis-Unternehmen Eurobahn rund um Osnabrück steht es nicht gut. Der derzeit stattfindende Wettbewerb, der eigentlich für ein besseres Angebot sorgen sollte, aber ausschließlich auf Kostenminimierung abzielt, bedroht mittlerweile den Schienenverkehr.
Ein dauerhaft miserables Bild bietet der Fernverkehr der Deutschen Bahn, der mit einer Pünktlichkeit von nur 68,4 % im September einen Negativrekord aufstellte – Ausfälle nicht eingerechnet. „Pünktlich heißt in der Definition der DB AG, dass der Zug weniger als sechs Minuten verspätet ist“, erläutert Diehl die Zahl. „Das heißt: Wirklich auf die Minute pünktlich war kaum ein Fernzug im September. Dabei reichen fünf Minuten Verspätung oft schon aus, um Anschlüsse zu verpassen.“
Die Ursachen für die katastrophale Pünktlichkeit des Fernverkehrs liegen oft in unzureichender und überlasteter Infrastruktur, die bei kleinsten Betriebsstörungen den Fahrplan durcheinanderbringt. Der Ausbau der Infrastruktur wurde aber jahrelang vernachlässigt und nimmt erst langsam Fahrt auf. „Geld allein bereitzustellen, reicht nicht“, sagt Diehl dazu. „Es muss auch die nötigen Planungs- und Baukapazitäten geben. Dafür braucht es aber qualifiziertes Personal, an dem es ebenfalls mangelt. Hinzu kommen die in Deutschland absurd langen Vorlaufzeiten, bis überhaupt ein Bagger rollt, selbst bei kleinen Projekten wie Ausweichgleisen.“
Dadurch, dass der Fernverkehr so unzuverlässig ist, werden oft auch die Fahrpläne im Nahverkehr zusätzlich durcheinandergebracht, zum Beispiel beim Metronom zwischen Hamburg und Bremen bzw. Göttingen oder beim RE-Expresskreuz rund um Bremen, denn die Züge teilen sich dieselben Gleise.
Das Ganze wird abgerundet durch unvorhersehbare Probleme wie Unfälle oder Fahrzeugstörungen, aber auch durch Streiks. PRO BAHN blickt bereits mit Grausen auf die Tarifrunde des Frühjahrs 2023, für die beide Bahngewerkschaften jetzt schon zum Streik rüsten. Nach der überzogenen Machtdemonstration der GdL im laufenden Jahr steht die EVG unter Zugzwang. Der Kunde spielt in alldem keine Rolle. Besonders schlimm würde es, wenn auch das Personal auf den Stellwerken streikte und selbst die Züge nicht betroffener Bahnunternehmen nicht mehr fahren könnten.
Landesvorsitzender Diehl sagt dazu: „Es gibt dermaßen viele Probleme, die sich seit Jahren aufbauen, ohne von der Politik systematisch angegangen zu werden, dass für den SPNV schlicht kein Blumentopf mehr zu gewinnen ist, selbst wenn das Angebot auf dem Papier stimmen mag. Mittlerweile sind die Zusammenhänge und Zuständigkeiten so komplex geworden, dass nicht einmal Experten noch richtig durchblicken.“
Mit Blick auf die Landespolitik in Niedersachsen fordert PRO BAHN daher, sich endlich diesem Problemdschungel ernsthaft zu widmen. Das ist jedoch nicht in Sicht. Stattdessen gibt man sich in der Landesregierung große Mühe, die Neubaustrecken Hannover – Bielefeld und Hamburg – Hannover zu verhindern. Besonders die kleine Verbindungskurve zwischen beiden Strecken in Hannover scheint der Landesregierung ein Dorn im Auge zu sein, obwohl diese erhebliche Verbesserungen für Direktverbindungen von Hamburg ins Ruhrgebiet brächte. Es fehlt der Landespolitik schlichtweg jegliche Kreativität, wie man aus diesen geplanten Neubauten großen Nutzen für Niedersachsen ziehen kann. Daher schaltet man reflexartig auf Ablehnung.
„Die niedersächsische Landesregierung müsste eigentlich alles daransetzen, bestehende Probleme und Engpässe zu beseitigen und neue Infrastruktur zu schaffen, statt sie aus obskuren Motiven zu blockieren“, meint Diehl dazu. „Der erhebliche Aufwand, den man darauf verwendet, gegen die bundespolitisch gewollten Neubaustrecken zu arbeiten, wäre viel besser darin investiert, andere Strecken zu stärken und den Schienenpersonenverkehr fit für die Zukunft zu machen. So aber wird das nichts mit der Verkehrswende!“ Bremen hat die Zeichen der Zeit dagegen offenbar erkannt und plant massive Ausbauten der Regio-S-Bahn.