Forderungen für eine bessere Anschluss-Sicherung im Zugverkehr

Positionspapier des PRO-BAHN-Landesverbandes Niedersachsen/Bremen e.V., beschlossen auf dem Landesausschuss am 25.05.24 in Hannover

Vorbemerkung und Motivation

Nach unserer Erfahrung als Fahrgastverband ist es den Reisenden weniger wichtig, auf die Minute pünktlich am Ziel zu sein; vielmehr interessiert sie der reibungslose Ablauf der ganzen Reisekette, wo es keine Direktverbindungen gibt. Dadurch wird maßgeblich auch ihr Eindruck von der Zuverlässigkeit „der Bahn“ geprägt. Wenn die Reisekette etwa bei einem Pendler einmal pro Woche reißt und dadurch eine Verspätung von einer Stunde eintritt, wird das als wesentlich schlimmer wahrgenommen als eine häufigere Verspätung am Ziel von einzelnen Minuten.

Durch verpasste Anschlüsse entsteht zudem ein erheblicher volkswirtschaftlicher Schaden, den die Reisenden bislang unterhalb der sehr hohen Schwelle der Fahrgastrechte allein zu tragen haben. Die Verkehrslenkung sollte daher viel stärker als bislang auf die Sicherung wichtiger Reiseketten ausgelegt werden, soweit das unter Berücksichtigung der Streckenauslastung möglich ist und nur ein Halbstundentakt oder weniger auf der Relation besteht.

Dieses Positionspapier wird ergänzt durch konkrete Vorschläge zur Anschluss-Sicherung an besonders kritischen Umsteigebahnhöfen. Dies können Sie hier sehen und lesen.

1 Einleitung

1.1 In Zeiten häufiger Verspätungen und Ausfälle im Bahn- und Busverkehr kommt der Sicherung der Anschlüsse eine besondere Bedeutung zu. Risse in der Reisekette durch Anschlussverluste sind für Fahrgäste ein erheblicher Zeit- und Komfortverlust, der ihnen die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel insgesamt vergrault.

1.2 Zugleich ist festzustellen, dass die Zersplitterung der Zuständigkeiten, die Verknappung der Ressourcen im ÖV und das organisatorische Unvermögen einiger handelnder Personen noch nie so groß war wie heute. Insoweit besteht ein dringender, umfassender Handlungsbedarf für den gesamten öffentlichen Personennah- und Fernverkehr.

1.3 Die bisherigen Versuche der Aufgabenträger, der Netzbetreiber und der Verkehrsunternehmen, planerisch und im laufenden Betrieb sichere Anschlüsse herzustellen, sind als eher hilf- und wirkungslos einzustufen. Es bedarf dringend klarer Regelungen und einer ebenso klaren Kommunikation nach innen und außen. In erster Linie ist sicherzustellen, dass der Fahrgast pünktlich oder mit nur mäßiger Verzögerung sein Reiseziel erreicht.

1.4 Bis zur Wiederherstellung der Zuverlässigkeit im Bahn- und Busverkehr kommt den Entschädigungen für die Fahrgäste eine erhöhte Bedeutung zu. Die aktuell geltenden Regelungen sind für die Kunden viel zu umständlich gestaltet und unzureichend. Zur Erhöhung des Handlungsdrucks in Sachen Pünktlichkeit und Anschlusssicherung plädieren wir für eine deutliche Verbesserung der Position des Kunden.

2 Anschluss-Sicherung beginnt bei der Planung von Verkehrsanlagen

2.1 Moderne Bahnhofsumbauten führen nicht selten zu längeren Umsteigezeitewegen. Sind sie nicht zu vermeiden, müssen die Konsequenzen bei der Fahrplangestaltung beachtet werden. Bei längeren Wegen und neuen Hürden wie Bahnübergängen und Rampen können die bisherigen Umsteigezeiten (vor allem Zug/Bus und Bus/Zug) nicht einfach beibehalten werden.

2.2 Beim barrierefreien Umbau von Stationen wird nach dem Motto „so wenig wie irgend möglich“ verfahren. Es gibt keinerlei Rückfallebenen im Fall von Störungen bei Rolltreppen und Aufzügen. In Bahnhöfen mit größerem Aufkommen entstehen regelmäßig Rückstaus, die zu Anschlussbrüchen führen. Angemessene Reserven, die auch die zunehmende Nutzung von Bahn und Bus berücksichtigen, sind sichtbar einzuplanen.

2.3 Bushaltestellen und Busbahnhöfe werden immer noch nach dem Motto „wie störe ich den Autoverkehr am wenigsten“ angelegt und nicht an kurzen und einfachen Wegen für die Fahrgäste ausgerichtet. Umsteigestellen sind auf die Fahrgastbedürfnisse auszurichten.

2.4 Der „Ausbau“ von Strecken ist seit Jahren keiner mehr, sondern häufig ein hinter diesem Begriff versteckter massiver Rückbau aller Reserven wie Zugfolge- und Zugbegegnungsstellen („Kreuzungen“). Mittels solcher Bauten wird die Unpünktlichkeit in die Infrastruktur hineingearbeitet. Es müssen wieder vermehrt „Blockstellen“ und auf eingleisigen Strecken Kreuzungsbahnhöfe oder Begegnungsabschnitte eingerichtet werden.

2.5 Bei oft monatelangen Baumaßnahmen wird die Reisendenlenkung unzureichend geplant. Schilder zur Wegeführung sind häufig gar nicht, nur in Kleinformat oder an schlecht sichtbaren Stellen zu finden. Das führt zum Herumirren unzufriedener Fahrgäste und somit auch zum Verpassen von Anschlüssen.

2.6 Das Nichtfunktionieren von Aufzügen bzw. deren Funktion als langsame Nadelöhre beim Umstieg sind bei der Fahrplangestaltung zu berücksichtigen. Rampen funktionieren hingegen immer, sie sind jedoch nicht so lang wie möglich, sondern entsprechend der gesetzlich zulässigen Möglichkeiten so kurz wie möglich zu bauen.

3 Grundsätze der Fahrplangestaltung

3.1 Schon bei der Fahrplanentwicklung und -gestaltung muss mehr Realismus einziehen. Man kann nicht Strecken nach Belieben vollstopfen und Anschlüsse nach dem „Prinzip Hoffnung“ planen.

3.2 Generell sind Anschlüsse von 4-5 Minuten fern jeder Realität. Generell sind die Umsteigezeiten an den schwächsten Gliedern der Umsteigekette zu orientieren und nicht an den „Sprintern mit der Aktentasche“.

4 Kommunikative Schwachstellen

4.1 Die „Mindestübergangszeit“ und ihre Kommunikation bedürfen einer Überarbeitung mit dem Ziel, den Fahrgästen sinnvolle und praktikable Lösungen zu bieten.

4.2 Bei Bekanntwerden von technischen Problemen auf Bahnhöfen (z.B. kaputte Aufzüge) werden den Kunden sinnlose Hinweise gegeben („Aufzug außer Betrieb“), anstatt mit den EVUs und vor Ort über einen sinnvollen Umgang mit dem Problem zu sprechen und den Fahrgästen praktikable Lösungen anzubieten.

4.3 Die Schnittstellen zwischen den Verkehrsunternehmen und zwischen diesen und dem Netzbetreiber sind unzureichend und werden nicht im Interesse der Fahrgäste genutzt. Eine Kommunikation findet im Verspätungsfall nicht oder dergestalt statt, dass den betroffenen Fahrgast noch weiter verwirrt, in falscher Sicherheit wiegt oder gänzlich falsch informiert.

5 Vertragsgestaltung zwischen Aufgabenträgern und EVUs

5.1 Bei der Gestaltung der Verträge zwischen Aufgabenträgern und EVUs sind sinnvolle Anreize zu vereinbaren. Das Mantra des pünktlichen Fahrens (also vor allem Abfahrens kurz vor Eintreffen des zuführenden Anschlusszuges oder – busses) ist zugunsten einer flexiblen und für Übergangsreisende vernünftigen Regelung aufzugeben. Umsichtiges Handeln ist zu belohnen, nicht stures Beharren auf der Abfahrtsminute!

5.2 Fehlerhaftes Verhalten wie Abfahren im Angesicht heraneilender Umsteiger ist zu bestrafen. Hingegen dürfen ein angemessenes Warten auf Anschlussreisende und die daraus resultierende Verspätung keine Pönalen nach sich ziehen.

6. Anforderungen an DB Netz/InfraGO

6.1 Die Fahrdienstvorschriften sind so zu gestalten, dass Anschlüsse bei Verspätungen, wenn vernünftig machbar, noch gewahrt werden. Das sture „Es wird grün, wenn die Abfahrtsminute da ist“ muss durch umsichtiges Handeln ersetzt werden.

6.2 Dem Triebfahrzeugführer eines wartenden Zuges ist ein Spielraum zu gewähren, den er auch bei grünem Ausfahrsignal ausnutzen kann, um den Anschluss zu sichern, wenn sich Anschlusszüge nähern oder Fahrgäste heraneilen. Hierfür sind lokale oder streckenbezogene Wartezeitregeln erforderlich.

7 Vom Bus zum Zug und von Bus zu Bus

7.1 Die heutige Ausschreibungspraxis legt wenig Wert auf Anschluss-Sicherung. Da zumeist Teilnetze ausgeschrieben werden, besteht an den „Schnittstellen“ praktisch keine Kommunikation verschiedener Verkehrsbetriebe untereinander. So fehlt zum Beispiel eine übergreifende Leitstelle. Bemühungen der Aufgabenträger zur Anschluss-Sicherung müssen nachhaltiger werden.

7.2 Aber selbst dort, wo nur ein Unternehmen tätig ist, wird dem Warten bei Verspätungen zu wenig Priorität eingeräumt. Das wird bei langen Takten besonders ärgerlich.

8 Der Mensch ist eben durch nichts zu ersetzen

8.1 Auf größeren Knoten mit anerkannt prekären Anschlüssen und viel Umsteigeverkehr müssen wieder Aufsichten eingesetzt werden – zumindest so lange bis eine verbindliche technische Lösung zum Einsatz kommt.

8.2 Eine weitere Verbesserungsmöglichkeit, die allerdings nur in Kombination mit flexiblerer Handhabung der Vorgaben für Abfahrtszeiten funktioniert, besteht in der Anbringung von Kameras auf den Laufwegen und einem entsprechenden Monitor in Höhe des Triebfahrzeugführers (bei S- und U-Bahnen durchaus üblich). Dann könnte der Tfz-Führer sehen, ob noch Umsteiger die Treppen hinaufhasten und diese noch mitnehmen.

8.3 Vormeldungen von Anschlusswünschen zulaufender Züge oder Busse sollten nicht nach Willkür, sondern nach verbindlichen Regeln behandelt werden.